Weniger ist mehr

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Scrabbel: Die Worte Flächen und Ziel
Flächenpolitische Ziele im Überblick

Wer die Flächeninanspruchnahme wirksam steuern möchte benötigt hierfür Ziele. Schließlich folgt die Flächenkreislaufwirtschaft einem Managementansatz. Das bedeutet, die relevanten Akteure wirken in geeigneten Verfahren zusammen, um definierte Ziele zu erreichen. Herfür setzen sie die passenden Instrumente ein. Um welche Ziele geht es?

Ziele für die Flächenkreislaufwirtschaft: Steuerung von Mengen und Qualitäten notwendig

Der Ansatz der Flächenkreislaufwirtschaft umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten für einen sparsamen Umgang mit Flächen in der Siedlungsentwicklung. Dabei soll vermieden werden, dass bisher genutzte Siedlungs- und Verkehrsflächen dauerhaft brachfallen, während neue, bisherige Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen werden. Innenentwicklung durch die vorrangige Nutzung von Baulücke und Brachflächen genießt Vorrang. Mit dem Konzept wird eine ausreichend hohe Siedlungsdichte erhalten, während die naturnahen Flächen im Außenbereich von Besiedlung freigehalten bleiben. Die Neuinanspruchnahme von Bauland für Siedlungs- und verkehrszwecke beträgt somit im Idealfall Netto-Null. Flächenkreislaufwirtschaft umfasst damit gleichermaßen drei Strategiebausteine des Flächensparens: Begrenzung der Flächenneuinanspruchnahme, Mobilisierung von Bauflächen im Bestand sowie Erhöhung der Effizienz der Flächennutzung. Damit sind nicht nur das Wieviel sondern das Wo und Wie einer nachhaltiger Siedlungsentwicklung angesprochen. Ebenso wird deutlich, dass Siedlungsentwicklung auf neuen Flächen sowie die Qualifizierung der Flächen und Nutzungen im Bestand stets im Zusammenhang zu betrachten sind. Hierbei wird es je nach Flächennachfrage und Entwicklungsdynamik (Bevölkerungsentwicklung, Prosperität) differenzierte Anpassungsbedarfe sowie örtlich und stadtregional angepasste Lösungen und Prioritätensetzungen geben müssen. Ergo: in der Debatte sollte es um mehr gehen als um die Diskussion eines Für und Wider des „30-ha-Ziels“.

Ziele im politischen Raum: Bund und Europa

Im Jahr 2002 hat die Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ein konkretes flächenpolitisches Ziel formuliert: Bis 2020 soll die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke bundesweit auf 30 Hektar pro Tag gesenkt werden – insbesondere durch verstärkte Innenentwicklung und Flächenrecycling.

In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (Biodiversitätsstrategie), die im Jahr 2007 vom Bundeskabinett beschlossen wurde, wird ein Verhältnis von Innenentwicklung zu Außenentwicklung von insgesamt 3:1 als Ziel benannt. Dieses soll durch die Lenkung der Flächeninanspruchnahme auf die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung erreicht werden.

Unter den 17 Zielen der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung von 2015 findet sich das Ziel Nr. 11: „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten“ (UN Sustainable Development Goal 11). Deutschland ist aufgerufen, seinen Beitrag zur Umsetzung dieser SDGs zu leisten.

Die „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Neuauflage 2016“ integriert erstmals nationale Nachhaltigkeitsindikatoren in diese Ziele. Einer der Indikatoren ist die Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke. In der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie – Neuauflage 2016“ wurde der Indikator „Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche“ mit dem Ziel „Senkung auf 30 ha minus x pro Tag bis 2030“ fortgeschrieben. Zugleich sind die Indikatoren “Freiraumverlust in m²/je Einwohner“ mit dem Ziel „Verringerung des einwohnerbezogenen Freiflächenverlustes“ sowie „Einwohner je Siedlungs- und Verkehrsfläche (Siedlungsdichte)“ mit dem Ziel „Keine Verringerung der Siedlungsdichte“ neu hinzugekommen. Die neuen Indikatoren spiegeln in städtischen wie ländlichen Räumen den Verlust an Freiflächen in Verbindung mit der Effizienz der Siedlungsflächennutzung wider.

Eine schärfere Zielformulierung findet sich im „Integrierten Umweltprogramm 2030“ des Bundesministeriums für (BMUB), das 206 veröffentlicht wurde. Der Flächenschutz ist hier Bestandteil des „Leitziels II:  Städte, Gemeinden  und Infrastrukturen umweltgerecht entwickeln im Themenbereich „Nachhaltige Mobilität, lebenswerte Städte“. Vorgesehen sind Maßnahmen zum Flächenschutz und zum Übergang zu einer Flächenkreislaufwirtschaft. Genannt wird u.a. eine Reduzierung des Flächenverbrauchs auf 20 Hektar pro Tag im Jahr 2030. Angestrebt werden  die Weiterentwicklung des Raumordnungsrechts des  Bundes und der Länder mit dem Ziel der Einführung verbindlicher Flächensparziele in der Landes- und Regionalplanung.

Im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung (2016) sieht die Bundesregierung vor, den Flächenverbrauch durch einen Übergang zur Flächenkreislaufwirtschaft bis spätestens 2050 weiter zu reduzieren In Übereinstimmung mit dem „Fahrplan für ein ressourceneffizientes  Europa“ der Europäischen Union ist vorgesehen, den Flächenverbrauch bis dahin auf Netto Null zu senken.

In ihrem „Fahrplan für ein ressourceneffizientes Europa“ aus dem Jahr 2011 strebt die Europäische Kommission eine Flächenkreislaufwirtschaft sowie bis 2050 das Flächenverbrauchsziel Netto-Null an. Im gleichen Jahr beschloss der Bundesrat in einer Stellungnahme zum „Fahrplan für ein ressourceneffizientes Europa“, dass das Flächenverbrauchsziel Netto-Null angesichts der demographischen Entwicklung und der vielfältigen Potenziale zur Innenentwicklung wesentlich früher als im Jahr 2050 erreicht werden solle (Zielvorstellung 2025, spätestens 2030). Ferner wird die die Bundesregierung aufgefordert, sich für anspruchsvollere Ziele bei der Reduzierung des Flächenverbrauchs einzusetzen. Zudem solle die Die Förderpolitik der EU bereits ab 2014 überprüfen und auf die Vermeidung von bodenbelastenden und flächenverbrauchenden Förderungen ausgerichtet werden.

Die Richtung scheint also klar: mit Blick auf das Jahr 2050 wird der Ansatz der Flächenkreislaufwirtschaft Realität, die Flächenneuinanspruchnahme beträgt Netto-Null. Damit steht das „30-ha-Ziel“ nicht etwa zur Disposition, vielmehr ist die Debatte schon weiter in Richtung nachhaltiger und zukunftsfähiger Siedlungspolitik vorangeschritten. Hervorzuheben ist dabei der enge Konnex von Reduzierung des Flächenverbrauchs und Vorrang der Innenentwicklung: das Wieviel, das Wo und das Wie einer nachhaltiger Siedlungsentwicklung.

Ziele in den Bundesländern

Verschiedene Bundesländer haben das bundespolitische 30-ha-Ziel zum Anlass genommen, ihre Siedlungsentwicklung an einem Landesziel zur Begrenzung der Flächenneuinanspruchnahme auszurichten. Unterschiedlich sind dabei die Vorgehensweisen der Verankerung eines Mengenziels.

In verschiedenen Bundesländern fanden flächenpolitischen Ziele Eingang in Nachhaltigkeitsstrategien. So wird in Baden-Württemberg aus dem Bundesziel ein Landeszielwert für 2020 von 3 ha pro Tag abgeleitet. Als langfristiges Ziel wird eine Flächenneuinanspruchnahme von Netto-Null entsprechend der demografischen Entwicklung angestrebt, so der der Nachhaltigkeitsbericht 2014 des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg. In der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Hessen wird laut Fortschrittsbericht 2016 eine Begrenzung des Zuwachses der Siedlungs- und Verkehrsfläche auf 2,5 ha/d im Jahr 2020 angestrebt. In der Nachhaltigkeitsstrategie für Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2016 wurde verankert, den Flächenverbrauch bis 2020 auf höchstens 5 ha/Tag zu senken. Längerfristig soll ein Netto-Null-Flächenverbrauch erreicht werden. Der Ministerrat des Landes Rheinland-Pfalz verabschiedete Anfang des Jahres 2016 die Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes. Darin wurden erstmals konkrete Nachhaltigkeitsziele für Rheinland-Pfalz festgelegt. Es ist das Ziel der Landesregierung, die tägliche Flächenneuinanspruchnahme bei unter einem Hektar zu stabilisieren. Laut der Bayerischen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2013 soll der Flächenverbrauch soll deutlich reduziert werden, langfristig ist eine Flächenkreislaufwirtschaft ohne weiteren Flächenneuverbrauch anzustreben. Eine konkreter Zielwert wird nicht genannt. In Sachsen-Anhalt wurde im Koalitionsvertrag der Landesregierung aus dem Jahr 2016 das Ziel festgeschrieben, die Flächenversiegelung in Anlehnung an das bundesweite Ziel auf maximal 1,3 ha pro Tag zu begrenzen.

Mit der Debatte um landesspezifische Zielfestlegungen gehen die Bundesländer einen wichtigen Schritt in Richtung Bewusstseinsbildung zum Thema Fläche im Dialog mit Stakeholdern, die am Flächengeschehen beteiligt sind. Länder wie Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen befassen sich  außerdem in akteursübergreifenden Allianzen oder Bündnissen bzw. in interministeriellen Arbeitsgruppen mit dem Thema Flächenverbrauch.

Was fehlt: Operationalisierung flächenpolitischer Ziele

Bislang sind flächenpolitische Ziele von Seiten des Bundes und der Länder noch keine verbindliche Richtschnur des Handelns für eine nachhaltige Siedlungspolitik geworden. Eine Ursache liegt darin, dass das  politisch gesetzte 30-ha-Ziel in keiner Weise operationalisiert ist. Eine landesplanerische Berücksichtigung eines landesspezifischen Mengenziels erfolgt z.B. in Nordrhein-Westfalen im neuen Landesentwicklungsplan in Form eines Grundsatzes. Die Kommunen sind in Bezug auf eine verbindliche Festlegung von Mengenzielen der Flächeninanspruchnahme zurückhaltend.

Bund, Länder und Kommunen haben einen Kanon von Zielen und Interessen zu bedienen, denkt man an Belange der wirtschaftlichen Entwicklung, an den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, an die individuelle Wohnflächennachfrage, an Interessen von Flächeneigentümern bzw. an die derzeit vielerorts hohe Baukonjunktur im Bereich Wohnen. Damit sind Ziele für eine Reduzierung der Flächeninanspruchnahme Gegenstand einer Abwägung oftmals konkurrierender Belange. Insbesondere die Städte und Gemeinden als zentrale Umsetzungsebene der Siedlungspolitik und -planung vor Ort agieren unter komplexen Rahmenbedingungen und haben eine Vielzahl von Interessen aus Kommunalpolitik, Wirtschaft, Bürgerschaft und weiteren Interessenvertretern zu berücksichtigen. Zusätzlich schränken begrenzte finanzielle Ressourcen und beschränkte Zugriffsmöglichkeiten auf Flächenpotenziale im Bestand die Handlungsmöglichkeiten vieler Kommunen in Bezug auf eine aktive Bodenpolitik ein.

Dieses erschwert die Steuerung der Flächeninanspruchnahme entlang verbindlicher Ziele im Sinne eines Managementansatzes, wie er für die Etablierung einer Flächenkreislaufwirtschaft erforderlich wäre. Somit können die am Flächengeschehen beteiligten Akteure die Potenziale der zur Verfügung stehenden Instrumente nicht so konsequent für eine wirksame Steuerung der Flächeninanspruchnahme einsetzen, wie örtliche bzw. regionale Potenziale bzw. Problemlagen der Siedlungsentwicklung das erfordern oder ermöglichen würden – im Sinne einer wirksamen Begrenzung der Flächenneuinanspruchnahme, der konsequenten Mobilisierung von Bauflächen im Bestand sowie einer Erhöhung der Effizienz der Flächennutzung.

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